"Wird nicht mehr passieren": Jorge Martin zieht Lehre aus Reifenpoker

Jorge Martin war auf Phillip Island vom weichen Reifen überzeugt, aber sein Poker geht knapp nicht auf - In Zukunft will er auf die gleichen Reifen wie Bagnaia setzen

(Motorsport-Total.com) - Jorge Martins Reifenpoker beim Grand Prix von Australien ging um eine Runde nicht auf. Mit dem weichen Hinterreifen führte der Pramac-Ducati-Fahrer vom Start weg und hatte schon rund dreieinhalb Sekunden Vorsprung. Aber in den letzten fünf Runden brachen seine Rundenzeiten deutlich ein.

Titel-Bild zur News: Jorge Martin

Den Vorsprung von dreieinhalb Sekunden konnte Martin nicht ins Ziel verwalten Zoom

Die vierköpfige Verfolgergruppe kam immer näher und überholte Martin in der letzten Runde. Statt als umjubelter Sieger kam der Spanier nur als Fünfter ins Ziel und büßte weitere WM-Punkte auf Francesco Bagnaia (Ducati) ein, der Zweiter wurde.

Martins Poker reichte für 26 Runden, aber nicht für 27. "Es war eine komplett verrückte Entscheidung", kommentiert Luca Marini (VR46-Ducati). "In der Aufwärmrunde habe ich auf einem Monitor gesehen, dass sich Martin für den weichen Hinterreifen entschieden hatte."

"Ich habe zu mir gesagt, dass das unmöglich sein kann und ein Fehler sein muss. Es war eine verrückte Entscheidung. Auch die Michelin-Leute wussten nicht genau, wie sich die Reifen verhalten würden. Vielleicht wollte er mit 'Pecco' ein Spiel spielen."

"Ich denke, Jorge hätte das gar nicht tun müssen, weil er in jeder Session eine halbe Sekunde schneller als alle war. Er hätte einfach den gleichen Reifen wie 'Pecco' nehmen müssen. Dann hätte er ihn leicht besiegt. Jorge war an diesem Wochenende auf einem anderen Planeten."

"Aber solche Fehler können seine WM-Chancen beeinträchtigen", bringt es Marini auf den Punkt. Martins Rückstand ist nach dem Sturz in Indonesien und diesem verpatzten Reifenpoker auf 27 WM-Punkte angewachsen.

Warum sich Martin für den weichen Reifen entschieden hat

Also warum hat sich Martin für den weichen Hinterreifen entschieden? "Mit dem Medium-Hinterreifen hatte ich nicht dieses Gefühl, um mich absetzen zu können", erklärt er bei DAZN Spanien. "Ich habe gesehen, dass der weiche Reifen einen großen Unterschied macht."

"Ich entschied mich deswegen für den weichen Reifen. Mein Plan lautete, wenn ich drei Sekunden Vorsprung habe, werde ich es kontrollieren. Genau das habe ich auch gemacht. Als ich die drei Sekunden hatte, bin ich sanft gefahren und habe nicht attackiert. Das ärgert mich."

Jorge Martin

Im Training fuhr Martin nur wenige Runden mit dem Medium-Hinterreifen Zoom

"Ich bin sehr sanft gefahren und habe alles kontrolliert. Ich wusste, dass ich dann gegen Rennende wieder ans Limit gehen könnte, aber ich habe nicht erwartet, dass der Reifen so stark nachlassen würde. Ich habe die kompletten drei Sekunden Vorsprung verloren. Es ist, wie es ist."

"Sieben Runden vor Rennende habe ich es erstmals gemerkt. Sie sind um vier Zehntelsekunden pro Runde schneller gefahren als ich. Ich habe attackiert, aber ich konnte nicht beschleunigen. Es gab keine Power und keinen Grip mehr. Ich war aber überzeugt, dass es der richtige Reifen war."

Im WM-Finish gibt es keinen Reifenpoker mehr

Im Endeffekt hat Martin nur eine Runde gefehlt. Der Poker hätte also auch aufgehen können. Die Situation war nicht so wie zuletzt in Indonesien, als die Rundenzeiten der Fahrer mit dem weichen Reifen schon nach dem ersten Renndrittel stark eingebrochen sind.

"An diesem Wochenende", erklärt Honda-Fahrer Joan Mir, "war der Reifenverschleiß generell höher als im vergangenen Jahr. Mit der Erfahrung des vergangenen Jahres hat er vielleicht daran geglaubt. Aber ich hatte meine Zweifel."

Jorge Martin, Francesco Bagnaia

Bei den restlichen Rennen will Jorge Martin bei den Reifen nichts mehr riskieren Zoom

"Selbst mit der Medium-Variante war die Chance groß, dass der Reifen nachlässt. Das ist auch einigen Fahrern passiert", verweist Mir auf andere Fahrer, die selbst den härteren Reifen über die Renndistanz kontrollieren mussten.

Mit Blick auf die WM ist für Martin jedenfalls klar: "Beim nächsten Mal wird mir das nicht mehr passieren. Es ist klar, dass wir von jetzt an mit den gleichen Waffen kämpfen müssen. Darüber gibt es keine Verhandlungen mehr." Er wird also künftig auf die gleichen Reifen wie Bagnaia setzen.

Auch Marc Marquez pokert und holt nur einen WM-Punkt

Andere Fahrer, die nichts zu verlieren haben, können pokern. Neben Martin probierten auch Marc Marquez (Honda), Raul Fernandez (RNF-Aprilia) und Pol Espargaro (Tech3) den weichen Reifen. Auch bei ihnen war es im Endeffekt die falsche Wahl.

Raul Fernandez und Pol Espargaro kamen außerhalb der WM-Punkteränge ins Ziel. Marc Marquez war in der Anfangsphase im Bereich von Platz fünf. Aber als seine Rundenzeiten einbrachen, wurde er bis auf Platz 15 zurückgereicht.

"Das war so wie im Vorjahr ein Poker", sagt Marc Marquez. "Im Vorjahr hat mir dieser Poker einen Podestplatz gebracht. Aber heute war nicht der Tag dafür. Als ich gesehen habe, wie Martin am Anfang mit dem weichen Reifen voll attackiert hat, war klar, dass das Rennen super schnell wird."

Marc Marquez, Marco Bezzecchi

Bei Marquez brachen die Rundenzeiten schon viel früher als bei Martin ein Zoom

"Wenn man solche Rundenzeiten fährt, kann man die Reifen nicht managen. Im Training hatte ich nicht den Speed, um die Reifen zu managen. Als ich sah, dass ich mittlere 1:29er-Zeiten fuhr, habe ich darüber nachgedacht, ob ich attackieren oder warten soll."

"Ich habe zu mir gesagt, dass ich attackieren werde. In Runde zehn hat der Reifen zum ersten Mal spürbar nachgelassen. Bis Runde 20 konnte ich die Situation noch irgendwie retten, aber in den letzten Runden bin ich zwei Sekunden langsamer gefahren, weil der Gummi weg war."

"Ich bin auf dem harten Sicherheitsgummi gefahren. Aber es war meine Entscheidung. Es war nicht die korrekte, aber mit dem Medium-Reifen wäre ich im Bereich von Platz neun oder zehn ins Ziel gekommen. Besser wäre nicht möglich gewesen."

Pol Espargaro: Beeindruckend, wie gut die Ducati die Reifen managt

"Fahrer wie Pol oder ich können pokern", findet Marc Marquez, der andererseits von Martins Entscheidung überrascht war: "Jorge hatte heute den Speed. Deswegen konnte er mit dem weichen Reifen leben. Natürlich war es ein Fehler, aber er wird daraus lernen."

"Er war im Training auch mit dem härteren Reifen der Schnellste. Als ich seine Wahl gesehen habe, war es für mich eine große Überraschung." Mit Pramac-Ducati, Honda, RNF-Aprilia und Tech3-KTM hatten es vier Teams für möglich gehalten, dass der weiche Reifen halten könnte.

"Man muss das von zwei Seiten sehen", findet Pol Espargaro. "Einerseits wie schnell Jorge fährt und andererseits wie gut die Ducati die Reifen managt. Er ist um eine Sekunde schneller als ich gefahren."

"Mein Reifen war bei Rennhalbzeit am Ende und seiner ab Runde 22, als man es erwarten konnte. Jorge hat das gut gemanagt. Aber auch wie die Ducati in diesem Bereich im Vergleich zu KTM, Honda oder Aprilia funktioniert, ist beeindruckend."