Wasserstoffverbrennungsmotor: Warum Toyota nicht nur auf Elektro setzt

Eine Kombination aus Leidenschaft und Pragmatismus ist Motivation des japanischen Automobilriesen, die Wasserstoffverbrennungstechnologie voranzutreiben

(Motorsport-Total.com) - Schall. Ein Segen oder ein Fluch. Eine Freude oder ein Ärgernis. Für viele Renn- und Rallye-Fans ist er ein Teil dessen, was den Motorsport so reizvoll macht. Zu ihnen gehört auch der Vorsitzende von Toyota, der in den letzten 13 Jahren als CEO tätig war.

Titel-Bild zur News: Toyota will mit dem GR H2 Racing den ersten Wasserstoff-Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans einfahren

Toyota will mit dem GR H2 Racing den ersten Wasserstoff-Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans einfahren Zoom

"Sie sagte Lärm, aber in meinen Ohren ist es eher ein Schlaflied", lacht Akio Toyoda, Urenkel des Firmengründers und Gründer des mehrfachen Weltmeisters Gazoo Racing, als er die falsche Nuance der Worte seines Übersetzers aufgreift. Er wurde zu den Aussichten des Motorsports gefragt, wenn batterieelektrischer Motorsport nach dem Vorbild der Formel E und Extreme E einen der stärksten Reize des Sports aufgibt.

"Meiner Meinung nach ist der Sound ein wichtiger Bestandteil des Motorsports", fährt er fort. "Im Fall von Le Mans, wo viele Autos über viele Runden am gleichen Ort im Kreis fahren, ist es vielleicht weniger wichtig, das in den Fokus zu nehmen."

"Aber wenn ich an die Rallye-Weltmeisterschaft denke, wo die Zuschauer in einem Wald oder im Staub und Sand stehen, was ist dann der Reiz eines leisen Fahrzeugs, das sich einem nähert? Die Faszination, ein Auto zu hören, bevor man es sieht, ist ein sehr wichtiger Teil des Reizes dieses Sport."

Man kann Toyodas profane Beweggründe für die Verbrennung von Wasserstoff in einem Motor als die beste Lösung für das Bestreben des Motorsports, seine CO2-Emissionen zu reduzieren und einen seiner wichtigsten Aspekte zu erhalten, zynisch finden oder akzeptieren. Ich würde jedoch jeden, der sich wie ich mehr als eine Stunde mit ihm über das Thema unterhalten hat, dazu anregen, ersterer Ansicht zu hinterfragen.

Ja, Toyota war bekanntermaßen zögerlich bei der Entwicklung von batterieelektrischen Fahrzeugen (BEVs). Das Unternehmen bezweifelt, dass diese das von vielen Gesetzgebern erhoffte Allheilmittel für den Klimanotstand darstellen; obwohl Toyoda die Entwicklung von BEVs unterstützt, sieht er verbrannten Wasserstoff als mögliche alternative Lösung für die Emissionsprobleme des Automobils.


Präsentation Toyota GR H2 Racing Concept

Dabei geht es ihm nicht nur um die Einführung der Technologie zum Nutzen der Motorsportfans, sondern vielmehr um ein für beide Seiten vorteilhaftes Entwicklungsprogramm für die langfristige Zukunft seines Unternehmens - und des Planeten.

"Die Leute denken, dass ich über Wasserstoff spreche, damit ich den Motorsport auskosten kann", räumt er ein. "Aber in Wirklichkeit sollten wir den Rennsport als Chance nutzen, um die Entwicklung des Produkts zu beschleunigen."

"Im Rennsport hat man zwei einzigartige Möglichkeiten: Erstens schauen viele Leute zu, sodass man eine Technologie bei einem neuen Publikum bekannt machen kann. Zweitens gibt es viele verschiedene Autos, die nach einem vorgegebenen Zeitplan gegeneinander antreten, und jeder will gewinnen. Das setzt den Teams Fristen, sodass sie sich mehr anstrengen, um bessere Arbeit zu leisten, Herausforderungen zu meistern und Lösungen zur Kostensenkung zu finden."

Der allererste Explosionsmotor wurde mit Wasserstoff betrieben. Im Jahr 1807 zündete der schweizerisch-französische Erfinder Isaac de Rivaz den ersten Verbrennungsmotor mit Wasserstoff als Treibstoff.

Die Idee war zwar nicht von langer Dauer, was zum Teil der höheren Energiedichte von Benzin zu verdanken ist, doch die Wissenschaft, die dahinter steckt, bleibt bestehen: Verbrennt man Wasserstoff, so verbindet er sich mit Sauerstoff und erzeugt Energie - ohne Kohlenstoffemissionen, lediglich dem Nebenprodukt Wasser.

Die Argumentation für Wasserstoffverbrennung ist jedoch nicht so einfach, wie es sich anhört. Anders als in einer Wasserstoff-Brennstoffzelle entstehen bei der Verbrennung von Wasserstoff verschiedene unangenehme Stickoxide (NOx), die unter anderem Ursache für eine Vielzahl von Atemwegserkrankungen sind. Der Niedergang des Dieselmotors war größtenteils das Ergebnis dieser Problematik, verstärkt durch den Volkswagen-Dieselskandal.

Toyotas Herausforderung ist daher technischer Natur: Es gilt, Wege zu finden, Motoren so mager wie möglich zu betreiben, um die NOx-Problematik zu reduzieren, und Filter zu entwickeln, die ein Entweichen in die Atmosphäre verhindern.

Darüber hinaus besteht die Herausforderung darin, den Wasserstoff im Auto aufzubewahren - entweder unter enormem Druck oder, wenn eine höhere Leistung erzielt werden soll, bei unglaublich niedrigen Temperaturen (rund -250 Grad Celsius).

Hinzu kommt das komplexe Problem der Schaffung einer Betankungsinfrastruktur, nicht zuletzt, weil jede Tankstelle mehr als eine Million Euro kostet. Im Vereinigten Königreich gab es 2021 beispielsweise 15 Tankstellen, aber die Nachfrage war so gering, dass nur noch fünf geöffnet sind.

Jake Dennis

Elektro-Rennserien wie die Formel E tun sich schwer, ein Massenpublikum anzuziehen Zoom

Um eine Vorstellung vom Ausmaß des Problems zu vermitteln: Manch einer fragt sich bereits, wie in Le Mans genügend Infrastruktur geschaffen werden kann, um womöglich einem Dutzend Teams zu ermöglichen, dort Rennen zu fahren, wenn die Regeln ab 2026 für Wasserstoff geöffnet werden. Ganz zu schweigen vom Aufbau einer Infrastruktur für den Straßenverkehr auf dem gesamten Kontinent.

So serienreif ist Wasserstoff

Der Vorteil ist natürlich, dass der Tankvorgang innerhalb von Minuten und nicht wie bei Batterien mehrere Stunden dauert, und dass ein Großteil der Technologie aus den gegenwärtigen Antrieben entwickelt werden kann. Schätzungen zufolge können 80 Prozent der Teile übernommen werden.

Während die Verbrennung von Wasserstoff viele potenzielle Vorteile hat, muss man sich darüber im Klaren sein, dass diese noch nicht ausgeschöpft sind - eine Aufgabe, von der selbst ihre Befürworter annehmen, dass es noch mindestens fünf Jahre dauern wird, bis sie in ernsthaftem Umfang eingesetzt werden kann.

Es gibt also noch eine enorme Menge an Entwicklungsarbeit zu leisten. Aber unter Toyodas Leitung ist das jährliche Forschungs- und Entwicklungsbudget von Toyota auf fast 8 Milliarden Euro gestiegen, und der nach Verkaufszahlen größte Automobilhersteller der Welt neigt nicht dazu, Hirngespinsten nachzueifern.

Der Konzern erforscht jede Technologie - Batterien, nachhaltige Kraftstoffe, Wasserstoff-Brennstoffzellen, wasserstoffbetriebene Verbrennungsmotoren und mehr - und ist der Ansicht, dass alle Technologien Potenzial haben.

Was die Wasserstoffverbrennung anbelangt, so gehen Insider davon aus, dass die Entwicklung von Anwendungen für Straßenfahrzeuge - die gewinnbringende Sparte eines jeden Automobilunternehmens, die letztlich jede Investition in den Motorsport rechtfertigt - zu etwa 50 Prozent abgeschlossen ist. Es wird zwar betont, dass es keine Erfolgsgarantie gibt, aber der Enthusiasmus von Toyoda ist eine große Bestätigung dafür, dass ein Durchbruch realistisch ist.

So hat Toyoda-san bereits im vergangenen Jahr - in Rennanzug, Rennschuhen, Helm und unter dem Deckmantel seines Alter Egos "Morizo" - einen wasserstoffbetriebenen Yaris bei der Rallye Ypern vorgeführt. Er gehörte beim 24-Stunden-Rennen von Fuji zu dem Team, das mit einem wasserstoffbetriebenen Corolla antrat, und absolvierte im Vorfeld der 24 Stunden von Le Mans eine Demonstrationsrunde mit jenem Fahrzeug.

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Der Toyota Corolla mit Wasserstoffantrieb hat bereits 24-Stunden-Rennen absolviert Zoom

Ebenfalls in Le Mans wurde ein Konzeptfahrzeug namens GR H2 Racing vorgestellt, das mit seinem Aussehen auf ein Hypercars hindeutet, und ab 2026 mit Wasserstoffverbrennungsmotor antreten wird. Es wird erwartet, dass es schnell genug sein wird, nicht nur um den Sieg in der Wasserstoffklasse zu kämpfen, sondern auch um den Gesamtsieg im Rennen.

"Ich sehe meine Rolle am Steuer als wichtig an", sagt er. "Die Öffentlichkeit denkt immer noch, dass Wasserstoff gleichbedeutend mit Explosionsgefahr ist. Als wir das erste Mal anfragten, ob wir mit dem Yaris in der Rallye-Weltmeisterschaft fahren können, haben uns die Organisatoren viele Fragen gestellt und gefragt, ob Wasserstoff gefährlich sei."

"Zunächst waren sie sehr besorgt. Dann fragten sie uns: 'Wer wird dieses Auto fahren?' Die Antwort lautete 'Morizo', und plötzlich war alles ganz anders. Sie sagten: 'Nur zu!'"

"Wenn ich so etwas mache, dann wissen sie, dass ich von der Sicherheit des Autos überzeugt bin. Ich weiß, dass ich auch schnell genug sein muss, aber meine Fahrerkollegen und ich haben vereinbart, dass ich anhalte, wenn ich zu weit zurückfalle; im Moment kann ich mit Vergnügen sagen, dass ich näher dran bin als je zuvor."

Warum Toyota auf Technologieoffenheit setzt

Aber wenn Toyoda über Wasserstoffverbrennungsmotoren spricht, ist er sich auch bewusst, dass er sich damit eine Zielscheibe auf seinen - und Toyotas - Rücken malt. Es ist bittere Realität, dass der Konzern im vergangenen Jahr nur 26.000 BEVs verkauft hat - im Vergleich zu 1,2 Millionen Teslas - und heftig dafür kritisiert wird, gegenüber der Konkurrenz dermaßen im Hintertreffen zu sein.

Diese Kritik übersieht die führende Rolle des Unternehmens im Bereich der Hybridfahrzeuge (es wurden mehr als 20 Millionen Fahrzeuge verkauft) und die klare, wissenschaftlich begründete Überzeugung, dass die Infrastruktur der Welt nicht für eine vollständige Umstellung auf eine einzige Technologie geeignet ist.

Und dass die knappen Batterieressourcen, die bisher erschlossen wurden, besser für Hybridfahrzeuge genutzt werden sollten, bei denen die Batterie jeden Tag entladen wird, als in Elektroautos mit großer Reichweite zu stecken, die in der Regel nur einen Bruchteil ihrer Kapazität pro Fahrt nutzen.

Und die Tatsache, dass bis vor kurzer Zeit kein Vertrauen in die Reichweite und die Kosten der verwendeten Batterien bestand, um die von den meisten Autokäufern erwartete Mischung aus Erschwinglichkeit und Leistungsfähigkeit zu bieten.

Dennoch warten die Kritiker nur auf ihre Chance. In einer Welt, in der sich die meisten Gesetzgeber auf BEVs konzentrieren, über Wasserstoff zu sprechen, birgt Risiken.

"Wenn ich über Wasserstoff spreche, kommen die Leute manchmal zu dem Schluss, dass ich das mache, weil Toyota im Rennen um die Elektrifizierung drei Runden hinterherhinkt. Ich glaube, dass batterieelektrische Fahrzeuge ein wichtiger Teil der Lösung zur Reduzierung der CO2-Emissionen sind, aber sicherlich nicht der einzige", sagt Toyoda.

Akio Toyoda

Akio Toyoda lässt sich das Denken nicht verbieten Zoom

"Wir engagieren uns für diese Fahrzeuge. Ich kann Ihnen sogar sagen, dass wir bereits ein Gazoo-Racing-Elektroauto mit Getriebe und Sound im Innenraum für Enthusiasten entwickeln. Aber wir sollten jetzt und in Zukunft alles Erdenkliche tun, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Ich glaube, dass es nicht den einen richtigen Ansatz gibt, sondern viele, die wir verfolgen sollten."

"Die Wahrheit ist, dass unsere natürlichen Ressourcen auf der Erde endlich sind. Deshalb glaube ich, dass wir alles in Betracht ziehen sollten. Heute gibt es etwa eine Milliarde Menschen auf der Erde, die keinen ausreichenden Anschluss an das Stromnetz haben. Wie wollen wir denen sagen, dass BEVs die einzige Lösung sind, wenn wir uns nicht einmal darüber im Klaren sind, wie wir sie mit Strom versorgen?"

Mit dieser Aussage spielt Toyoda auf das so genannte "Energie-Trilemma" an, das von Regierungen, Gesetzgebern und Meinungsmachern auf der ganzen Welt als Richtschnur für die Politik der Energiewende verwendet wird.

Kurz gesagt geht es dabei um ein Gleichgewicht zwischen Energiezuverlässigkeit, Erschwinglichkeit und Nachhaltigkeit. Die Abhängigkeit Europas von russischem Öl und Gas ist ein Beispiel dafür, wie diese Dreiecksbeziehung in jüngster Zeit gescheitert ist. Ein anderes Beispiel sind die Kosten und der bürokratische Aufwand für die Anbindung grüner Energiegewinnungsprojekte wie Offshore-Windanlagen und großer Solarpaneelanlagen an die nationalen Netze.

Ein batterieelektrischer Antrieb mag die energieeffizienteste Lösung sein, die es derzeit gibt, aber die meisten für die Batterieherstellung benötigten Rohstoffe befinden sich in potenziell schwierigen Gebieten (wiederum Russland und China).

Die Infrastruktur, die für den Übergang zur Massenaufladung erforderlich ist, einschließlich einer vollständigen Umstellung auf erneuerbare Energiequellen, um einen Netto-Null-Verkehr zu gewährleisten, bedeutet, dass dies wahrscheinlich nicht die universelle Lösung sein wird, die von vielen befürwortet wird - zumindest nicht in den Zeiträumen, in denen die Menschheit nach Ansicht von Klimaexperten reagieren muss.

In diesem Zusammenhang sollten Toyodas Freigeist und seine Weigerung, sich auf einen einzigen technischen Weg festlegen zu lassen, vielleicht von allen begrüßt werden, nicht nur von Motorsportfans.

Man muss anerkennen, dass Toyoda mit dieser Denkweise eine zunehmend einzigartige freidenkerische Haltung an den Tag legt, die vielleicht darauf zurückzuführen ist, dass Japan bekanntermaßen über wenig natürliche Ressourcen verfügt, die für die Umstellung auf Elektroautos notwendig sind. Und dass die Größe und der Erfolg seines Unternehmens es ihm ermöglichen, in ein weitaus breiteres Spektrum von Technologien zu investieren als viele - vielleicht sogar alle - seiner Mitbewerber.

Während es im und um den Motorsport herum zahlreiche Pionierfirmen gibt, die sich mit Initiativen zur Wasserstoffverbrennung befassen, gibt es nur wenige Mainstream-Automobilhersteller, die dies mit ähnlichem Nachdruck verfolgen wie Toyota. Es würde dem Motorsport wenig nützen, wenn sich die Regelmacher auf eine Technologie einließen, die nur ein einziger oder sogar nur eine Handvoll Hersteller längerfristig verfolgen wollen.

Das ist vermutlich ein Grund, warum die Formel 1 eine Zukunft mit synthetischen Kraftstoffen anstrebt. Oder warum der Le-Mans-Organisator ACO die Einführung einer wasserstoffbetriebenen Klasse mehrfach verschoben hat, zuletzt auf 2026. Und es ist genau das Dilemma, mit dem die Organisatoren der Rallye-Weltmeisterschaft (WRC) beim Versuch ringen, einen Fahrplan für ihre Zukunft zu erstellen.

Toyoda will sich keinen Versprechungen hingeben: "Ich habe kein Modell für die Zukunft und kann daher nicht sicher sein, dass ich richtig liege, aber ich kann sagen, dass der Feind CO2 ist. Daher sollten wir jetzt und in Zukunft alles in unserer Macht Stehende tun, um den CO2-Ausstoß zu verringern."

"Ich glaube, dass es nicht nur einen richtigen Ansatz gibt, sondern viele, die wir alle verfolgen sollten. Und die Erforschung von Wasserstoff durch den Motorsport ist einer, der für jeden interessant sein dürfte, der meine Leidenschaft teilt."