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WTCC-Kolumne: Volvos Triumph und Hondas Fehler

Redakteur Markus Lüttgens beleuchtet die Titelentscheidung in der WTCC: Was Volvo richtig gemacht hat und was sich Honda ankreiden lassen muss

Titel-Bild zur News: Thed Björk

Thed Björk und Volvo durften in Katar über die WM-Titel jubeln Zoom

Liebe Leser,

zugegeben: In den vergangenen Jahren war die Tourenwagen-Weltmeisterschaft (WTCC) nicht gerade ein Garant für Spannung. Zu groß war die Dominanz von Citroen und Jose Maria Lopez. Doch in dieser Saison schien es, als wolle die Serie all die Langeweile, die sie vielen Fans in den vergangenen Jahren bereitet hat, wieder wettmachen.

Im Gegensatz zu allen anderen FIA-Weltmeisterschaften fiel die Titelentscheidung erst beim Saisonfinale. Und rechnerisch hatten vor dem letzten Rennwochenende des Jahres noch sechs Fahrer die Chance Weltmeister zu werden. Können Sie sich das in der Formel 1 vorstellen?

Volvo: Mit akribischer Planung zum Erfolg

Letztlich lief die Titelentscheidung auf ein Duell zwischen Volvo-Pilot Thed Björk und Honda-Fahrer Norbert Michelisz hinaus - mit dem bessere Ende für den Schweden und seinen Hersteller. Beide sind herausragende Tourenwagenfahrer und überaus sympathische Zeitgenossen, denen ich den Titelgewinn von Herzen gegönnt hätte. Und dennoch hat sich Volvo die Titel bei Fahrern und Herstellern in meinen Augen ein Stück weit mehr verdient.

Denn die Schweden gingen seit ihrer Rückkehr in die Tourenwagen-WM im vergangenen Jahr mit einer Entschlossenheit und Konsequenz zu Werke, die mir Respekt abnötigt. Statt nach schnellen sportlichen Erfolgen zu jagen wurde ein festgelegter Plan Schritt für Schritt abgearbeitet. Das zeigte sich schon bei der Fahrerwahl für die WTCC-Saison 2016, die bei vielen Beobachtern Stirnrunzeln auslöste.


Thed Björk und Volvo sind WTCC-Champions

Zwar waren Björk und Fredrik Ekblom, der später zeitweilig durch Robert Dahlgren ersetzt wurde, respektable Tourenwagenfahrer, doch hatten sie wenig bis keine Erfahrung in der WTCC. Doch Volvo hatte gute Gründe für diese "schwedische Lösung". Ihnen ging es darum, mit einer eingespielten Mannschaft, die sich seit Jahren aus der Skandinavischen Meisterschaft kennt, ohne Reibungsverluste und Sprachbarrieren das Auto zu entwickeln.

Die Schweden spielen alle Trümpfe aus

Diesem Ziel war im vergangenen Jahr ohnehin alles untergeordnet. Ein Beispiel: Bei der Veranstaltung auf dem Nürburgring bogen Björk und Ekblom in den freien Trainings regelmäßig direkt nach der Aufwärmrunde auf dem Grand-Prix-Kurs in Richtung Nordschleife ab, ohne vorher über die Startlinie zu fahren. So stand am Ende zwar keine gezeitete Runde für sie zu Buche, aber die Streckenzeit auf der Nordschleife wurde maximiert.

Thed Björk

Thed Björk jubelt, Norbert Michelisz bleibt die Rolle des Gratulanten Zoom

Nach diesem Lernjahr blies Volvo dann 2017 zum Angriff. Mit Nick Catsburg wurde Björk ein pfeilschneller Teamkollege an die Seite gestellt, mit Yvan Muller angelte sich das Team den erfolgreichsten Fahrer der WTCC-Geschichte als Berater und Entwicklungsfahrer. Und scheute sich auch nicht, im entscheidenden Moment den Franzosen als Vertreter von Nestor Girolami ins Auto zu setzen, um die Chancen beim Saisonfinale zu erhöhen.

Volvo hat im Kampf um die WTCC-Titel sämtliche Trümpfe ausgespielt und zeigte eine Entschlossenheit, die den Konkurrenten von Honda in letzter Konsequenz fehlte. Bei den Japanern kam in der Saison auch noch Pech und Unvermögen hinzu, sodass man letztlich fast schon sagen muss: Nicht Volvo hat den WTCC-Titel gewonnen, sondern Honda hat ihn verloren.

Testunfall verhindert Monteiros Titelgewinn

Es ist nicht allzu gewagt zu behaupten, dass Tiago Monteiro ohne seinen schweren Testunfall im September in Barcelona Tourenwagen-Weltmeister des Jahres 2017 geworden wäre. An den ersten sechs Rennwochenenden hatte er die konstantesten Leistungen gezeigt und die WM-Wertung angeführt. Da der Honda Civic auch in der zweiten Saisonhälfte auf vielen Strecken das schnellste Auto war, wäre dem Portugiesen der Titel kaum zu nehmen gewesen. Doch nach dem Unfall war er zum Zusehen verdammt und musste miterleben, wie sein Team am Ende der Saison mit leeren Händen dastand.

Tiago Monteiro

Tiago Monteiro war bis zu seinem Unfall WM-Kandidat Nummer 1 Zoom

Was trotz der Verletzung von Monteiro nicht hätte sein müssen. Denn Michelisz sprang in für den Portugiesen in die Bresche und zeigte auch unter dem Druck des Titelkampfs konstant starke Leistungen. Dass er am Ende in Katar nicht jubeln und seine Karriere, die als PC-Spieler begann, mit dem Weltmeistertitel krönen durfte, hat er in erster Linie seinem Team zu verdanken. Und damit meine ich nicht das klemmenden Bremspedal, dass ihn im Qualifying von Losail auf Platz elf beförderte und damit in den Rennen auf verlorenen Posten stellte.

Vielmehr brach das Rennwochenende in China Honda das Genick, wo alle Civics wegen nicht regelkonformer Einspritzdüsen disqualifiziert wurden. Dadurch verlor Michelisz 28,5 WM-Punkte. Exakt so groß war am Ende in der Meisterschaft sein Rückstand auf Björk.

Hondas Schritt in den Grenzbereich des Reglements

Es ist auffällig, dass Honda auch in dieser Saison ein Regelverstoß zum Verhängnis wurde. Schon 2016 hatte sich das Team, damals aufgrund eines nicht regelkonformen Unterbodens, eine Disqualifikation eingehandelt. Doch weshalb reizen die Ingenieure das Reglement so weit aus? Vielleicht, um fehlendes Budget bei der Entwicklung zu kompensieren?

Dass Honda auch finanziell die Konsequenz vermissen ließ, die Volvo letztlich zeigte, müssen sich die Japaner vorwerfen lassen. Wie sonst ist es zu erklären, dass Honda auch in der Schlussphase der Saison an Ryo Michigami festhielt, der nun wahrlich keine Verstärkung für das Team war. Spätestens nach dem starken Auftritt von Altmeister Gabriele Tarquini in China hätte Honda alle Hebel in Bewegung setzen müssen, um den Italiener zu halten.

Zwar fand man mit Esteban Guerrieri einen starken Ersatzmann für Monteiro, doch de facto konnte sich Honda im Kampf um WM-Punkte nur auf zwei Fahrer verlassen. Was vor allem beim Blick auf die MAC3-Ergebnisse offensichtlich wird. Im Team-Zeitfahren war Volvo mit 7:3 Siegen klar die bessere Mannschaft, obwohl der Honda Civic unter dem Strich das schnellere Auto war, die die Bilanzen bei den Rennsiegen (6:4) und den Pole-Positions (5:3) zeigen.


Fotos: WTCC in Losail


So werden Björk und Volvo als letzte Champions in die TC1-Ära der WTCC eingehen. Nicht weil sie das schnellere Auto hatten, sondern weil sie mehr Dinge als Honda richtig gemacht haben.

Beste Grüße


Markus Lüttgens