Bradl und die Situation bei Honda: "Es ist eine Art Überlebenskampf"

Stefan Bradl springt in Assen für den verletzten Alex Rins ein: Wie er das MotoGP-Wochenende angeht und die Probleme bei Honda analysiert

(Motorsport-Total.com) - Noch vor einer Woche stand Stefan Bradl am ServusTV-Mikrofon und musste die Stürze von Markenkollege Marc Marquez auf der Honda als Experte kommentieren. An diesem Wochenende in Assen gibt der deutsche MotoGP-Testfaher wieder selbst Gas - als Ersatz für den verletzten Alex Rins bei LCR.

Titel-Bild zur News: Stefan Bradl

Stefan Bradl ersetzt bei Honda mal wieder einen verletzten Stammfahrer Zoom

"Ich bin froh, wieder zu diesem Team zurückzukehren. Es fühlt sich gut an, die Farben zu tragen und Teil dieser Familie zu sein. Wir waren ja die ganze Zeit in Kontakt, also kenne ich alle Jungs", sagt Bradl, der von 2012 bis 2013 Stammfahrer bei LCR war.

"Es ist deshalb nicht so, dass ich völlig nervös oder mit komplett neuen Gefühlen in die Garage gehe. Alles ist vertraut, und ich bin froh, zum Team zu gehören."

"Natürlich muss ich auch sagen, dass ich Alex eine schnelle Genesung wünsche. Ich hoffe, dass mit seiner Operation alles gut verläuft und er sich erholen kann." Der LCR-Pilot brach sich in Mugello das rechte Schien- und Wadenbein und wird länger ausfallen.

"Wir versuchen in der Zwischenzeit unser Bestes zu geben. Wir alle wissen, dass die Situation nicht einfach sein wird. Alles, was wir tun können, ist zu versuchen, ruhig zu bleiben und unseren Job zu machen - und vor allem gesund zu bleiben", betont Bradl. Denn neben Rins fällt auch Joan Mir verletzungsbedingt weiter aus.

Bradl: Marc Marquez gibt 100 Prozent und mehr

Marquez ist nach seinen fünf Stürzen am Sachsenring, in deren Folge er das Hauptrennen ausließ, ebenfalls angeschlagen. Auf die vielen Crashes angesprochen, sagt Bradl: "Ich habe großen Respekt davor, dass er immer noch seine 100 Prozent gibt oder mehr."

"Er versucht es, auch wenn er weiß, dass das Motorrad und die Mittel, die er hat, nicht für dieses Niveau ausreichen. Aber er versucht es und ich hoffe, dass er gesund bleibt und dieses Wochenende fahren kann. Seine Herangehensweise wird wahrscheinlich die gleiche sein. Wir werden einen achtfachen Weltmeister nicht verändern, was die Art und Weise angeht, wie er das Motorrad fahren muss", so der Deutsche.

"Vielleicht wird es auf dieser Strecke ein bisschen besser, aber realistisch gesehen wird es schwer sein, um das Podium zu kämpfen. Aber ich kann ihm keine Ratschläge geben, auch wenn ich mir wünschen würde, dass er ein kontrollierbares Risiko eingeht."

Marc Marquez

Allein am Sachsenring-Wochenende stürzte Marc Marquez fünfmal Zoom

Auf die Frage, ob die Stürze von Marquez verstehe, erklärt Bradl: "Ich denke, er ist viel Risiko eingegangen. Natürlich sind sein Niveau und seine Fähigkeiten unglaublich hoch. Aber ich glaube, er weiß auch, dass das nicht gut für sein Selbstvertrauen ist."

"Letztendlich müssen wir die Ruhe bewahren und versuchen, Schritt für Schritt auf ein vernünftiges Niveau zurückzukehren, und das wird mehr Zeit erfordern", betont er.

Honda-Testfahrer glaubt an langfristige Lösung

Dass Honda langfristig in der Lage ist, Lösungen für seine Probleme zu finden, davon ist Bradl überzeugt. "Ich denke, es kann behoben werden, und ich bin mir sicher, dass Honda die Kraft und die Ressourcen dazu hat, aber es ist eine Frage der Zeit."

"Wir haben gesehen, dass unsere Leistung nicht innerhalb von ein, zwei, drei Monaten massiv abgenommen hat. Es war auch ein Prozess, der sich über einige Jahre hinzog. Ich würde sagen, dass wir jetzt wahrscheinlich ähnlich lange brauchen werden, um wieder auf ein solides Niveau zu kommen", analysiert er.

Darauf arbeitete Bradl erst in dieser Woche bei einem zweitägigen privaten Test in Misano hin, wo er ein paar Neuentwicklungen von Honda ausprobierte. "Einige Teile waren nützlich", sagt der Deutsche und verrät: "Ich denke, dass wir sie auch dieses Wochenende schon nutzen können, aber es ist nichts Verrücktes."

"Ich meine, wir müssen realistisch sein und sehen, dass es nicht unser Motorrad oder unser Leben verändern wird", so Bradl. "Aber es gab einige Punkte, die positiv waren."


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Bei dem Formtief, das Honda durchläuft, stellt sich jedoch die Frage, ob es nicht radikalere Veränderungen bräuchte. Darauf angesprochen, verweist Bradl auf die eher konservative Arbeitsweise der Japaner: "Man muss auch wissen, dass die japanische Kultur und die Mentalität der japanischen Männer sich nicht in einer Woche ändern werden. Es wird also eine Weile dauern, und das ist ein Prozess."

Die vielen schweren Highsider von Honda-Piloten sorgten auch immer wieder für Kritik an der Elektronik. Daran wurde beim jüngsten Test ebenfalls gearbeitet. "Ich muss sagen, dass es für einen Testfahrer nicht wirklich erstaunlich interessant ist", gesteht Bradl.

Bradl: Es ist aktuell ein Kampf ums Überleben

"Aber letztendlich muss ich auch das Gesamtbild sehen. Ich versuche zu helfen. Und wenn es der Sicherheit und den Bedürfnissen der Fahrer dient, dann mache ich das natürlich." Er selbst habe das Limit in Misano trotz langer Abwesenheit schon früh gespürt.

"Nach drei, vier Runden habe ich gemerkt: Okay, jetzt sind wir zurück und ich kenne die Schwachstellen des Motorrads. Ich war das Motorrad ja seit dem Montagstest in Jerez nicht mehr gefahren. Aber ich erkannte direkt, dass wir uns in Schräglage überhaupt nicht sicher fühlen und alles, was wir tun, nicht natürlich ist."

"Das ist also das ganze Problem. Dadurch hat man kein Vertrauen in das Motorrad und man geht ein Risiko ein, obwohl es nicht bereit ist. Aber wegen des Wochenendformats muss man ein Risiko eingehen. Das hat es für uns noch schwieriger gemacht."

"Aber ich weiß, wo der Schwachpunkt des Motorrads liegt, und so werde ich es auch fahren. Ich werde nicht versuchen, mich an diesem Wochenende selbst zu zerstören. Es ist eine Art Überlebenskampf, den wir im Moment führen. Wie lange diese Zeit des Überlebens andauern wird? Das kann ich nicht sagen", so Bradl.

Als Experte bei ServusTV sagte der Deutsche vor einer Woche am Sachsenring noch: "Einerseits soll es ein Privileg sein, dass man MotoGP fahren darf. Aber ich bin froh, dass ich am Mikro stehen darf, um es zu analysieren, weil man ein Risiko eingehen muss."

Auch in der Sommerpause hat Bradl gut zu tun

Dieses Wochenende greift er nun doch wieder selbst in den Lenker und erklärt: "Das habe im Sinne von Marc gemeint. Sein Anspruch ist natürlich ein anderer als meiner. Ich muss schauen, dass ich fit bleibe und das Projekt weiterläuft. Unser japanischer Testfahrer (Tetsuta) Nagashima ist aktuell verletzt. Es ist also wichtig, mit dem Kopf bei der Sache zu bleiben und nicht mit dem Kopf durch die Wand zu gehen."

Wenn sich die Chance ergibt, klar dann... Das habe ich noch, dass ich, wenn ich einen Fahrer vor mir sehe, rankommen will. Wenn ich das nicht mehr habe, dann hilft auch das Testen nichts. Die Motivation kommt automatisch, wenn du auf dem Bike sitzt."

Ob er auch nach der Sommerpause noch einmal für Rins einspringen, hängt ganz von dessen Rehabilitation ab. Fest steht, dass für Bradl auch die Sommerpause geschäftig werden wird, denn es stehen drei private Tests in Misano und Jerez an. Für den Grand Prix von San Marino im September ist eine Wildcard geplant.