• 21.04.2016 18:14

  • von Neel Jani

Neel-Jani-Kolumne: Schwieriges Geschenk und leise Drohne

Porsche-LMP1-Werkspilot Neel Jani schreibt in seiner neuen Kolumne auf 'Motorsport-Total.com' vom Silverstone-Geschenk und wilden Karterlebnissen

(Motorsport-Total.com) - Liebe WEC-Fans, ich melde mich bei euch als Sieger des Auftaktrennens in Silverstone - die Freude ist aber natürlich längst nicht die gleiche wie zum Beispiel nach dem Bahrain-Sieg 2015. Trotzdem ist es interessant, auch einmal auf der Nehmer-Seite zu stehen.

Titel-Bild zur News: Neel Jani

Ich freue mich etwas halbherzig über den Sieg bei den 6 Stunden von Silverstone Zoom

Marc, Romain und ich haben den ersten Platz geerbt, weil der Audi #7 disqualifiziert wurde. Als ich am späten Sonntagabend nach dem Rennen davon erfuhr, saß ich bei meinen Verwandten in London, bei denen ich und Entourage traditionsgemäß nach einem Rennen auf der Insel übernachten. Es kamen quasi zwei SMS gleichzeitig, eine von unserem Chefmechaniker und eine von 'Motorsport-Total.com'. Es war ein seltsames Gefühl, denn ich habe noch nie einen Sieg so geschenkt bekommen.

Ich empfinde diesen Sieg als schwieriges Geschenk. Er ist nicht so schön wie ein erkämpfter Erfolg, aber wir nehmen die Punkte natürlich gerne an. Gleichzeitig tut es mir für meine drei Fahrerkollegen von Audi sehr leid, die einen tollen Job gemacht haben und ein gutes Resultat verdient hätten. Das habe ich meinem Kollegen Marcel Fässler auch sofort per SMS geschrieben.

Insgesamt war der Auftakt in Silverstone eine Achterbahnfahrt der Gefühle und Hoffnungen. Von unseren Testfahrten und auch vom Prolog in Paul Ricard wussten wir, dass unsere 2016er-Version des 919 schnell ist. In Silverstone konnten wir das aber leider nicht immer umsetzen und zeigen. In den Trainings war alles okay, aber im Qualifying lief es nicht nach Wunsch. Da haben wir uns das Leben aber vielleicht auch selbst etwas schwerer gemacht als unbedingt nötig...

LMP1-Dreikampf: Warnschüsse in alle Richtungen

Im Rennen konnten wir nie so richtig das Tempo des Schwesterautos mitgehen. Es hat mir zwar zur schnellsten Rennrunde gereicht, aber vor allem im Verkehr war es schwierig, die Pace hochzuhalten. Da haben wir teilweise dramatisch viel Zeit verloren - obwohl wir genauso attackiert haben wie alle anderen. Zum Teil lag unser Performance-Nachteil sicherlich an der Tatsache, dass im Startstint die Front unseres Autos etwas beschädigt wurde. Dies verursachte einiges an Untersteuern, doch wir konnten die Audis noch unter Druck setzen, deshalb haben wir die Nase nicht sofort gewechselt.

Neel Jani

Tolles Erlebnis:Im März durfte ich Flugstunden im Helikopter genießen Zoom

Die erste Full-Course-Yellow-Phase haben wir dann genutzt, um die Nase ohne großen Zeitverlust zu wechseln. Eigenartigerweise haben wir danach nicht wirklich mehr Balance im Auto gefunden. Es kann sein, dass wir vielleicht in einigen Duellen mit Audi die Vorderreifen zu sehr strapaziert haben, oder  wir haben noch andere Beschädigungen am Auto gehabt, welche nicht sichtbar waren. Das wird das Team sicherlich ganz genau analysieren und dann wollen wir uns in Spa den Sieg auf der Strecke holen.

Insgesamt haben wir in Silverstone gesehen, dass die LMP1-Werksteams auf allen Ebenen richtig Gas geben. Es war, als würden Porsche, Audi und Toyota im Dreieck stehen und gegenseitig auf einander Warnschüsse abfeuern. Nach dem Motto: Wenn du nicht konsequent weiterentwickelst, fehlerfrei bleibst und alle Chancen nutzt, bin ich da und mache dich frisch! So muss der Wettbewerb sein. Ich bin schon gespannt, wie sich dieser Dreikampf im Verlauf des Jahres entwickeln wird. Audi ist dran, Toyota war ab Rennmitte ebenfalls voll dabei.

Bald erste Fahrten mit dem Le-Mans-Aeropaket

Bevor wir in das nächste Rennen Anfang Mai in Spa gehen, steht für uns ein wichtiger Test an. In Aragon werden wir bei einem Dauerlauf erstmals mit unserem diesjährigen Le-Mans-Paket fahren. Das wird spannend und wichtig. Meine fünf Kollegen und ich können die Fahrten in Spanien kaum erwarten. Ob wir das Paket dann auch in Spa fahren werden, steht noch nicht fest. Das entscheiden wir erst nach dem Aragon-Test.


Fotos: WEC in Silverstone


Normalerweise fährt man in Spa immer gern mit dem Le-Mans-Paket, traditionsgemäß ist es das Vorbereitungsrennen auf Le Mans. Wenig Abtrieb mag die Jagd durch Eau Rouge ein wenig kniffliger machen, aber man hat Vorteile im Verkehr. Das hat man im vergangenen Jahr bei Audi gesehen, als sie ihre Autos in unterschiedlicher Spezifikation auf die Bahn geschickt haben. Das Auto mit viel Abtrieb war auf eine freie Runde gut, im Rennen bei dichtem Verkehr aber schnell im Niemandsland. Der Grund ist einfach: Die Stärke des Low-Downforce-Pakets liegt auf den Geraden - und da kann man ohne Zeitverlust überholen. Aber wenn man mit dem High-Downforce-Paket die Zeit in den Kurven gewinnen muss, kostet das richtig viel Zeit, wenn ein GT-Auto im Weg steht.

Warum legen wir uns dann nicht jetzt schon auf die Le-Mans Variante mit weniger Abtrieb fest? Ganz einfach: Spa und Wetterkapriolen gehören irgendwie zusammen. In Nässe kannst du natürlich immer viel Abtrieb gebrauchen. Man darf nicht vergessen, dass das Rennen in Belgien zwar die Generalprobe für Le Mans ist, aber doch gleichzeitig ein vollwertiges WEC-Rennen, in dem es wichtige Punkte zu gewinnen gibt. An die Eigenheiten des Le-Mans-Pakets können wir uns auch bei Tests gewöhnen, das muss nicht unbedingt im Rennbetrieb sein. Also warten wir mal ab, welche Variante nach Belgien kommt.

Paris lockt: Formel E sehen, nicht hören

Bevor der wichtige Aragon-Test auf dem Programm steht, mache ich vielleicht noch einen Kurztrip nach Paris. Es gibt in der LMP1 so viele Kollegen, die auch in der Formel E unterwegs sind. Ich höre so viel über deren Rennen, war aber noch nie vor Ort. Ich würde mir das gern mal live anschauen, anhören kann man bei denen leider nicht so viel. Paris ist von meiner Heimat nicht weit entfernt. Ich entscheide kurzfristig, ob ich da am Samstagmorgen schnell mal für einen Tag hinfahre.

Neel Jani

Gutes Wetter: Ich habe mein Rennrad für die neue Saison schon hübsch gemacht Zoom

Jetzt fragt bestimmt mancher: Fährt der Neel bald auch in diesen Elektroautos? Angebote gibt es, aber  meine Priorität ist ganz klar Porsche und WEC. Ich will Le Mans und den WM-Titel gewinnen!  Aber wer weiß, was in Zukunft passiert und wie sich diese Serie entwickelt. Die Autos sind jedoch im Moment nicht mal im Ansatz so interessant und technisch hoch entwickelt wie ein LMP1-Geschoss. Ein Formel-E-Rennen in meiner Heimat Schweiz wäre nett, weil dann wäre meine Anreise noch kürzer.

Ich bin ganz klar ein riesiger Fan der großen und lauten Motoren, aber mir ist klar, dass Elektroantrieb die Zukunft für den Alltag ist. Deshalb fahren ja auch Porsche und die anderen Hersteller in der WEC, damit sie die Technologie von Morgen im Rennbetrieb testen können. Auch die Themen wie autonomes Fahren finde ich für den Alltag interessant, denn es gibt genügend Leute die schon mit 100 km/h überfordert auf der Autobahn sind. Mit der neuen Technik würde der Verkehr sicherlich viel flüssiger. Doch ein Problem gibt es: Die Schweiz muss dann wohl eine neue Einnahmequelle suchen, da ihre teuren Blitzer nutzlos werden könnten!  Aber bitte nichts Autonomes im Motorsport!

Wenn in "Top Gun" eine Drohne geflogen wäre...

Rennen für RC-Autos gibt es schon. Das sollte reichen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass eines Tages in unserem Le-Mans-Rennen ein unbemanntes Objekt mitfährt. Außerdem lebt der Motorsport von dem, dass Menschen unter physischen Höchstleistungen ein Auto ans Limit bringen und dabei auch Risiko eingehen müssen, welches Konsequenzen haben kann. Es braucht meiner Ansicht nach Helden. Wer ist der Held? Ganz ehrlich: "Top Gun" wäre doch nie ein cooler Film geworden, wenn dort eine Drohne durch die Lüfte gesteuert worden wäre. Es braucht den Menschen im Sport, damit Fans mitfiebern, bangen, jubeln und sich damit identifizieren können.

Im Motorsport bin ich echter Old-School-Liebhaber: Ich mag den Sound von Verbrennern. Das gehört für mich einfach dazu. Ich denke, man muss in Zukunft ohnehin trennen zwischen Spaß/Emotionen und Effizienz im Alltag auf der Straße. Zum richtigen Spaß gehört für mich der richtige Sound, gutes und straffes Fahrwerk. Darum habe ich mir vor kurzem einen Schaltkart zugelegt, da gibt es mit meinen Kollegen immer wieder heiße und wilde Zweikämpfe.

Ich war kürzlich mit dem Congfu "Frankie" Cheng, den ihr vielleicht aus der DTM oder der ehemaligen A1GP-Serie kennt, auf der Bahn in Lyss unterwegs. Das ist bei mir in der Nähe und lockt mich immer wieder.  Frankie hat mich besucht und wir sind dort geheizt - ein Spaß ohne Ende! Kartfahren war für uns ein perfektes Trainingslager und eine optimale Vorbereitung. Er hat anschließend das Qualifikationsrennen auf dem Nürburgring bestritten, ich das WEC-Rennen in Silverstone.

Ich hoffe, dass die weiteren Rennen auf ganz normalem Wege entschieden werden. Schaut euch den kommenden WEC-Lauf in Spa an - ich bin wieder dabei!

Viele Grüße,

Neel Jani
 
 P.S.: Schaut auch auf meinen Accounts bei Twitter, Facebook und Instagram vorbei, um weitere besondere Einblicke in mein Leben als Porsche-Werksfahrer zu bekommen!